z. Zt. Berlin, 23.III.35
München XIII
Adelheidstr. 27
Sehr verehrter Herr Professor,
Ich bitte um Entschuldigung, daß es eine so leidige Sache wie
eine Prioritätsfrage ist, in der ich mich zum ersten Mal an Sie
wende. Wie mir Herr Dr. O. Meyer erzählt, haben Sie sich in
dankenswerter Weise der vernachlässigten Merseburger Bibliothek
angenommen und sind dort auf ein Fragment Ravenatischer Konsularfasten
gestoßen, dessen Veröffentlichung Sie vorbereiten. Da ich
nicht weiß, wann das Fragment zu Ihrer Kenntnis gelangt ist, möchte
ich Ihnen wenigstens mitteilen, daß ich das Fragment Anfang Mai
vorigen Jahres gesehen und sofort Photographien davon in Auftrag
gegeben (S. 2) habe. Im Mai oder Juni habe ich das Original nochmals
in München benützt und mit Herrn Stiftsprokurator
Klingelstein wegen der Reproduktionserlaubnis korrespondiert, die mir
vom Domkapitel zugestanden wurde. Wegen des hohen kunstgeschichtlichen
Interesses der Federzeichnungen habe ich mich inzwischen mit Herrn Dr.
C. Nordenfalk, Stockholm, zwecks einer gemeinsamen Publikation in
Verbindung gesetzt.
Wenn die Priorität auf Ihrer Seite liegt, erledigt sich natürlich
alles Gesagte, und ich würde dann höchstens vorschlagen, daß
ich Ihnen meine Lesung der im Original beschädigten mittleren
Kolumne der einen Seite mitteile. Andernfalls bitte ich Sie um Ihre
Meinungsäußerung.
Vielleicht kann ich es ermöglichen, mich auf meiner Rückreise
(etwa Anfang April) in Halle aufzuhalten; wir könnten dann über
den Fall sprechen.
Mit deutschem Gruß
Ihr sehr ergebener B. Bischoff |